berthold passt immer

Barbara Jungfer, Berlin Spirits



September 2005: Jazz CD des Monats STEREOPLAY "Testosteron ist kein Instrument", wie Nat Hentoff in seinem Artikel über die andauernde Unterschätzung des Weiblichen im Jazz feststellte. Die Gitarre ist zweifellos ein Instrument, sogar ein besonders schönes und vielseitiges, wie man mal wieder feststellt, wenn sie von einer so überragenden Musikerin wie Barbara Jungfer gespielt wird. Die Mittdreißigerin aus Berlin, die seit ihrem elften Lebensjahr erst Blues, dann Funk und jetzt hauptsächlich Jazz auf ihrer Ibanez spielt, überzeugt auf ihrem neuen Album gleich in mehrfacher Hinsicht.

Zum einen ist "Berlin Spirits", eingespielt beim RBB im Quintett mit der Pianistin Anke Helfrich, dem Trompeter Sven Klammer, dem Bassisten Oliver Potratz und Drummer Sebastian Merk, ein wunderbarer Beweis für die Lebendigkeit und Kreativität der hauptstädtischen Jazzszene. Auch steht dieses Album mit seinen angenehm aufregenden Hard-Bop-, Funk- und Blues-Originals, dem time-spielerischen "Lichtkatze" oder den wunderschönen Balladen "Niemandsland" und "Wolfspelz", für eine beinahe schon Berlin-typische stilistische Offenheit. Last und wahrscheinlich auch least ist es ein guter Beweis für Herrn Hentoffs These. Und ganz bestimmt eines der interessantesten und inspiriertesten Jazzalben der neueren Zeit.

"Berlin ist mein musikalischer "roter Faden"", sagt Barbara Jungfer. "Als ich nach dem Studium in Köln wegen der besseren musikalischen Möglichkeiten hierhin zurückkam, habe ich gleich sehr viel gespielt und auch bald schon eigene Bands gegründet." Erst im letzten Jahr gewann die Gitarristin und Komponistin, die schon mit John Tchicai, Kenny Wheeler, Ed Schuller oder dem Balafonisten Aly Keita spielte und mit ihrem Orgeltrio "Vitamin B3" begeisterte, den "Studio Wettbewerb" des Berliner Senats für ihr Gertrude Stein-Projekt mit der Sängerin und Tubistin Pauline Boeykens, sowie den "Berlin Blues Award" als Gitarristin der Band von Waldi Weiz. "Berlin Spirits" zeigt also auch die Entwicklung einer Musikerin, die mit der Heimorgel und den Schlagern ihres Vaters aufgewachsen ist, der nach und nach Blues- und dann ein paar Pat Metheny-Alben in der Bücherei auslieh, was sie aufhorchen lies.Bald schon nahm sie Unterricht und über Pat Martino, Jim Hall und John Scofield schließlich zu ihrem ganz eigenen Sound fand. "Meine Schulfreunde haben Lionel Richie oder Speed Metal gehört", erinnert sie sich. "Und ich habe bei meinem Lehrer Nick Katzmann Delta Blues studiert und bin abends im "Go In" in Charlottenburg im Duo mit einem Boogie Pianisten aufgetreten."

Bevor sich Barbara Jungfer 1992 an der Hochschule für Musik in Köln einschrieb, spielte sie unzählige Jamsessions, absolvierte Workshops, trat mit unterschiedlichen Bands (etwa "The Flintstones") und in Ensembles wie dem John Tchicai Project/ Berlin auf und zog sogar als Straßenmusikerin durch die Bretagne. "Wir sind damals zu viert aus Berlin nach Frankreich gefahren, um Musik für eine Gruppe von befreundeten Tanzperformern zu machen", erzählt sie. "Abends, nach der Show, spielten wir alle auf einem Bretterwagen mit einer kleinen Bar und zogen so noch endlos lange durch die Gegend." Der Titel "Jazz Au Camion" erinnert denkbar stimmungsvoll an dieses Erlebnis. Auch die anderen Stücke der neuen CD, allesamt Originalkompositionen von Barbara Jungfer, sind "autobiographisch", wenn man so will. "Ich verfolge nur Ideen weiter, die mir auch beim zweiten und dritten Hören noch gefallen", sagt sie. "Selbst etwas abgefahrene Sachen, wie etwa die Form in "Two Circles", müssen für mich immer organisch klingen." So enthält "Berlin Spirits" etwa mit dem "Tubi Fish " nicht nur eine der schönsten Taj Mahal-Reminiszenen, sondern mit "F°-32:1,8 = C°" nebenbei auch die angenehmste Möglichkeit sich die Formel für die Umrechnung von Fahrenheit in Celsius-Grade zu merken. "Ich habe im Sommer 2002 einige Zeit bei Ed Schuller und seiner Frau in New York gewohnt", erinnert sich Barbara Jungfer. "Irgendwann, als wir mal wieder in der Mittagshitze zusammen gespielt hatten, wollten wir dringend wissen, was 90° Fahrenheit denn nun in Celsius bedeuten." Die Formel steht oben. Wie heiß es wirklich ist, merkt man diesem Uptempo-Funk-Feuerwerk mit der rauen Leadgitarre, irgendwo zwischen Hochhausschlucht und Südstaatensumpf, deutlich an. Auch "22:22" fühlt sich im Grenzgebiet von Scofield und Baumwollfeld wohl. "Die Eigenkompositionen von Barbara Jungfer können sich hören lassen und wollen unbedingt mit Vehemenz gespielt werden" schrieb die Autorin Carina Prange einmal in einer Rezension. Auch "Jazz Podium" lobte die "Gitarristin der unüberhörbar eigenen Art mit hochsensiblem Anschlag, ganz erstaunlich weich und elegant fließenden Single-Lines und makelloser Souveränität auch in den vertracktesten Metren". Mit "Berlin Spirits" wird nicht nur deutlicher denn je, was Barbara Jungfer schon immer so besonders machte. Vor allem zeigen diese neun Songs und die Art und Weise wie sie diese fabelhaft verständige Band spielt, was für eine Bereicherung Barbara Jungfer und ihre Musik darstellen. Nicht nur für den Jazz und bestimmt weit über die Grenzen der Hauptstadt hinaus.

Barabara Junfer: Berlin Spirits (MM 801118)

Vertrieb: In-Akustik

 


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