berthold passt immer

Esther Kaiser




Esther Kaiser

The Moment We Met

(Minor Music)

 

Eine Begegnung ist nur so bemerkenswert, wie das was man daraus macht. Esther Kaiser macht immer das Beste draus, weil sie sich um ihre eigenen und gedachten Begegnungen eine ganz eigene, begegnungsreiche Musik arrangiert ? in der Abbey Lincoln auf die Beatles, Chopin auf Rilke, Standards auf Folksongs und Einflüsse von Joni Mitchell über Astor Piazzolla bis zu Bach und Monk auf kaiserliche Originale treffen. "The Moment We Met", das zweite Album der 30-jährigen Sängerin und Komponistin aus Berlin, ist auch deshalb eine klang- und seelenvolle Begegnung mit einer der schönsten neuen Stimmen dieser und aller anderer Jazzszenen. In dem Moment, wenn der luftige, helle Gesang dieser "Ausnahmevokalistin", deren mädchenhafter Charme auch manch melancholische Note durchdringt, auf die Musik ihrer erstklassigen Band trifft, funkt es zur inspirierten Initialzündung. Zwischen kleinem Flirt und großer Sache, lebendiger Leichtigkeit und erlebter Tiefe balanciert "The Moment We Met" sich (und uns) in eine hörbar zukunftsreiche Erlebniswelt.

 

"Diese Songs sind Geschichten für sich", erzählt Esther Kaiser, frisch zurückgekehrt von einer ausgiebigen Südostasientour mit ihrer Band. "Und obwohl sie bestens zusammenpassen, habe ich sie nicht danach ausgewählt. Sie haben sich eher ergeben, wie im richtigen Leben." Wie im richtigen Leben handeln die Songs von allen möglichen und unmöglichen Begegnungen, von intensiven und flüchtigen, schmerzhaften und glückseligen, alten und neuen, erinnerten, phantasierten und projizierten, und vom Suchen und Finden und wieder Verlieren. Im hymnischen Folksong "Black Is The Colour" geht es ums Wiederfinden, bei "7 Hours", dass sich immer wieder aus seiner verspielten Bassfigur frei-swingt, besingt Esther eine ausgeprägte, aber zeitliche begrenzte "Liebe auf den ersten Blick". "For each second seemed to be full of their entire history and history's bound to go on" konstatiert ihr Text, übrigens mindestens so poetisch wie die dazugehörige, ebenfalls selbst geschriebene Melodie. Der düstere "Waltz", eine sehr originelle Chopin-Bearbeitung mit eigenem Text und einem Gedicht von Rilke, reflektiert eine "durchlebte Erfahrung, an deren Ende man sich gründlich geändert hat". Der Chopin ist übrigens ebenso eine positive "Jugendsünde", nämlich eine Reminiszenz an ihre ersten Klavier- und Gitarrenstunden, wie "Eleanor Rigby", das ihr schon damals auf einem Best of-Album gefiel. Das neue Arrangement der Lennon-McCartney-Nummer kam allerdings, wie so oft, eher über die Noten zustande. Denn wenn auf eine ihrer "Output-Phasen" des Tourens und Konzertierens mal wieder eine "Input-Phase" folgt, arrangiert und komponiert Esther Kaiser oft tage- und wochenlang zuhause am Klavier. "Der rhythmische Verschieber geht allerdings voll auf das Konto der Band!", betont sie, als würde man nicht ohnehin merken, wie wichtig ihr und dem Ganzen diese Musiker sind. Carsten Daerr am Piano, Marc Muellbauer am Bass, Jens Dohle am Schlagzeug, und natürlich auch der Gast Uwe Steinmetz an Saxophon und Flöte, bilden mehr als nur ein Fundament. Oft bauen sie ihrer Leaderin auch Brücken oder verleihen ihr sogar Flügel. Letzteres vielleicht etwas energischer bei Richie Beirachs "Sounds From Your Heart" und dem endgültigen Abschied von "Bye Bye Blackbird", dafür fundamentaler, zurückhaltender beim herrlich melancholischen "Over The Rainbow" oder Esthers "mehr stillem als heimlichem" "Secret Lullaby". "Dabei geht es um Gedanken, die eigentlich nie richtig ausgesprochen wurden, und die jetzt über einer schlafenden Person gesungen werden", erklärt Esther. "Dream Ghost", ihr "Jazzstandard", beschreibt dagegen "eine geträumte Begegnung, skurril, anders, seltsam, aber nicht ohne Humor". Der ausklingende "Epilog: Winter Has Passed", mit dem Esther Kaiser und ihre Band auch die Aufnahmen in der "Fattoria Musica" im März beendeten, klingt eher wie ein Neuanfang als ein endgültiger Abschluss. Ausgerechnet der erste Song der CD macht eine Ausnahme in Sachen Begegnung, wie um zu unterstreichen, dass "das hier ganz bestimmt keine Konzeptplatte" ist. "Throw it away!", heißt es in diesem Song von Abbey Lincoln, der "eher wie eine Überschrift über all diesen Geschichten steht". "Give your love, live your life, each and every day", singt sie, eher suchend als verkündend, "'cause you can never lose a thing if it belongs to you". Was für ein Glück, dass Esther Kaiser diese schönen und spannenden Momente nicht wirklich weggeworfen, sondern für uns gesammelt und festgehalten hat. "The Moment We Met" ist ein zauberhaftes und zeitgemäßes musikalisches Statement. Und eine dieser seltenen Begegnungen, die noch lange vorhalten und nachhallen.

 


Tschechisch
Deutsche Version English version Version française ???????